Vatikanstadt / Havanna. Mit Zustimmung des Papstes hat der
kubanische Kardinal Jaime Ortega die Zusammenfassung einer Rede veröffentlicht,
die Kardinal Jorge Mario Bergoglio vor den Kardinälen in Rom gehalten hat – und
zwar wenige Tage vor dem Konklave, das ihn zum Papst wählte. Bergoglio forderte
in der Rede einen Richtungswechsel der Kirche.
Aufruf zu radikalen
Reformen
Die Rede sorgte, wie mehrere Kardinäle in den vergangenen
Tagen angedeutet hatten, wegen ihrer klaren Analyse und dem Aufruf zu radikalen
Reformen für Aufsehen unter den Kardinälen. Ortega bat Bergoglio später um eine
schriftliche Fassung, die dieser ihm handschriftlich anfertigte.
Die Zusammenfassung beginnt mit der These, die Verkündigung
des Evangeliums sei der eigentliche Daseinszweck der Kirche. Daher sei sie
aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen und sich an die Grenzen der
menschlichen Existenz vorzuwagen. Bergoglio greift damit den Begriff der
Orientierung hin zur "Peripherie" auf, der aus der
Befreiungstheologie stammt: Nur wenn sich die Kirche an jene wendet, die am
Rand der Gesellschaft stehen, erfüllt sie den Auftrag Jesu. Zu den Rändern
menschlicher Existenz zählen laut Bergoglio "die Sünde, der Schmerz, die
Ungerechtigkeit und jede Form von Elend".
Gegen Beschäftigung der Kirche mit sich selbst
Hart urteilt der jetzige Papst in der Rede über bestimmte
Formen klerikaler Eitelkeit und über die Beschäftigung der Kirche mit sich selbst.
Wenn die Kirche nur auf sich selbst schaue, werde sie
"selbstreferenziell" und verfalle einem "theologischen
Narzissmus". Sie täusche nur noch vor, dass Jesus Christus in ihr sei; in
Wahrheit aber entferne sie sich von ihm.
So entstehe ein Übel, das Bergoglio mit einem Zitat des Konzilstheologen Henri de Lubac (1896-1991) als "geistliche Mondänität" bezeichnet. Sie führe zu einer Art innerkirchlicher Eitelkeit, die abstoßend wirke und das klare Licht des Evangeliums verdunkele.
So entstehe ein Übel, das Bergoglio mit einem Zitat des Konzilstheologen Henri de Lubac (1896-1991) als "geistliche Mondänität" bezeichnet. Sie führe zu einer Art innerkirchlicher Eitelkeit, die abstoßend wirke und das klare Licht des Evangeliums verdunkele.
Verkündende oder
"verweltlichte" Kirche
Letztlich gebe es nur zwei Kirchenbilder, betonte Bergoglio
am Ende der Rede: die Kirche, die Gottes Wort hört und es treu verkündet, und
eine "verweltlichte Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt".
In diesem Licht müsse man "mögliche Veränderungen und Reformen sehen, die
notwendig sind für die Rettung der Seelen", schloss Bergoglio.
Mit der Rede aus den Tagen vor dem Konklave ist nun erstmals eine Art Programm des Franziskus-Pontifikats veröffentlicht. Sie hat ein vergleichbares Gewicht wie jene Kampfansage an die "Diktatur des Relativismus", die Kardinal Joseph Ratzinger 2005 in seiner letzten Predigt vor dem Konklave formulierte.
Mit der Rede aus den Tagen vor dem Konklave ist nun erstmals eine Art Programm des Franziskus-Pontifikats veröffentlicht. Sie hat ein vergleichbares Gewicht wie jene Kampfansage an die "Diktatur des Relativismus", die Kardinal Joseph Ratzinger 2005 in seiner letzten Predigt vor dem Konklave formulierte.
.............................................
Vatikanstadt. Der kubanische Kardinal Jaime Ortega hat ein
Manuskript des vormaligen Kardinals Jorge Mario Bergoglio veröffentlicht. Darin
fasst dieser seine Rede vor den Kardinälen in den Tagen vor dem Konklave
zusammen, das ihn später zum Papst wählte. – kirchensite.de dokumentiert den
Text in einer Übersetzung der Katholischen Nachrichtenagentur:
Ich habe Bezug genommen auf die Evangelisierung. Sie ist der
Daseinsgrund der Kirche. Es ist die "süße, tröstende Freude, das
Evangelium zu verkünden" (Paul VI.). Es ist Jesus Christus selbst, der uns
von innen her dazu antreibt.
1. Evangelisierung setzt apostolischen Eifer voraus. Sie
setzt in der Kirche kühne Redefreiheit voraus, damit sie aus sich selbst
herausgeht. Sie ist aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen und an die Ränder
zu gehen. Nicht nur an die geografischen Ränder, sondern an die Grenzen der
menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des Schmerzes, die der
Ungerechtigkeit, die der Ignoranz, die der fehlenden religiösen Praxis, die des
Denkens, die jeglichen Elends.
2. Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um das
Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank (vgl.
die gekrümmte Frau im Evangelium). Die Übel, die sich im Laufe der Zeit in den
kirchlichen Institutionen entwickeln, haben ihre Wurzel in dieser
Selbstbezogenheit. Es ist ein Geist des theologischen Narzissmus.
In der Offenbarung sagt Jesus, dass er an der Tür steht und
anklopft. In dem Bibeltext geht es offensichtlich darum, dass er von außen
klopft, um hereinzukommen ... Aber ich denke an die Male, wenn Jesus von innen
klopft, damit wir ihn herauskommen lassen. Die egozentrische Kirche beansprucht
Jesus für sich drinnen und lässt ihn nicht nach außen treten.
3. Die um sich selbst kreisende Kirche glaubt - ohne dass es
ihr bewusst wäre -, dass sie eigenes Licht hat. Sie hört auf, das
"Geheimnis des Lichts" zu sein, und dann gibt sie jenem schrecklichen
Übel der "geistlichen Mondänität" Raum (nach Worten de Lubacs das
schlimmste Übel, was der Kirche passieren kann). Diese (Kirche) lebt, damit die
einen die anderen beweihräuchern.
Vereinfacht gesagt: Es gibt zwei Kirchenbilder: die
verkündende Kirche, die aus sich selbst hinausgeht, die das "Wort Gottes
ehrfürchtig vernimmt und getreu verkündet"; und die mondäne Kirche, die in
sich, von sich und für sich lebt.
Dies muss ein Licht auf die möglichen Veränderungen und
Reformen werfen, die notwendig sind für die Rettung der Seelen.